Für diesen Artikel musste ich über meinen Schatten springen.

Seitdem ich schreibe, habe ich mit den unterschiedlichsten Themen befasst. Ich habe Texte über Kunstwerke geschrieben, über Konzerte, über unzählige große und kleine Events, über Friseursalons, über Verpackungsdruckmaschinen, über Gemeinderatsversammlungen, über gigantische Kosmetikkonzerne und kleine Naturkosmetik-Startups, über Pilze, über Kindergärten, über Frisurenmode und – um dieses Klischee zu bedienen – über die Ausstellung des örtlichen Kleintierzuchtvereins.

Die Liste ließe sich schier unendlich fortführen. Ich liebe diese Vielfalt, ich liebe es, im Gespräch mit Menschen in bisher für mich fremde Themen einzutauchen. Ich lerne dabei immer unendlich viel und es erweitert meinen Horizont. Ich denke auch, es hat mein Einfühlungsvermögen gestärkt, die unterschiedlichsten Perspektiven zu betrachten und sie so wiederzugeben, dass Leser sich dafür interessieren und sich informieren lassen können.

Bei allen Unterschieden haben diese Themen doch eines gemeinsam: Sie beleuchteten vorwiegend die „schönen“ Seiten des Lebens. Es geht um erfolgreiche Unternehmer, gute Musik, attraktive Freizeitmöglichkeiten, mehr oder weniger nützliche Produkte.

Natürlich ist nicht immer alles „Friede, Freude, Eierkuchen“: Es gibt kontrovers diskutierte politische Entscheidungen, über die ich ebenso kontrovers berichte, es gibt Messen und Events, die floppen, es gab und gibt unpopuläre Themen, über die ich natürlich dennoch gerne und hoffentlich ausgewogen schreibe. Diese Themen sind ernst, aber Menschen kommen in den geschilderten Situationen im Regelfall nicht zu Schaden.

Mit einer Ausnahme: Es gab – ganz zu Beginn meiner journalistischen Laufbahn – im Jahr 1999 das Sturmtief „Lothar“, welches in meiner Schwarzwälder Heimat große Schäden anrichtete und alleine am Sturmtag 13 Todesopfer forderte. Für die „Badische Zeitung“ war ich damals tagelang im völlig verwüsteten Wald unterwegs, um die erschreckende Bilanz für die Leser abzubilden. Bei aller Tragik ging es hier aber doch vorwiegend um die wirtschaftlichen Schäden. Ich sprach mit Forstwirten, mit Waldbesitzern und mit Politikern. Und nicht etwa mit Menschen, deren Leben durch den Sturm bedroht gewesen wäre. Außerdem war ich noch sehr jung und behandelte das Thema im Rückblick wohl auch mit einer guten Portion jugendlicher Unbeschwertheit.

Doch im Juli dieses Jahres war dies erstmals anders. Die Friseurfachzeitschrift „newClips“ beauftragte mich mit einer Reportage über die verheerende Flutkatastrophe. „Versuch mal herauszufinden, wie es den Friseuren im Flutgebiet geht. Schau mal, ob Du da jemanden erreichen kannst“, so lautete der „Arbeitsauftrag“ aus der Redaktion. Ich hatte einen enormen Respekt vor dieser für mich neuen Herausforderung. Mal davon abgesehen, dass es damals und bis heute schwer war, im Ahrtal jemanden telefonisch zu erreichen, hatte ich ehrlich gesagt auch Angst vor diesen Telefonaten. Diese Menschen haben zum Teil alles verloren: ihre Häuser, ihr gesamtes Hab und Gut und oftmals geliebte Verwandte oder Freunde. Von einem Tag auf den anderen wurde ihr Leben zerstört. Und die sollen nun nichts besseres zu tun haben als mit einem Pressevertreter zu sprechen? Auch noch von einer sehr neuen und daher vielfach noch unbekannten Friseurfachzeitschrift? Ich muss zugeben: Ich schob die Aufgabe eine Weile vor mir her. Ich hatte einen dicken Kloß im Hals, wenn ich daran dachte, „so nah“ an dieses Trauma herantreten zu müssen. Auch wenn es nur telefonisch sein sollte. Nach einigen Tagen gab ich mir nach einem Tipp des Herausgebers schließlich einen Ruck und rief eine mir bekannte liebe Berufskollegin an, die vor Ort und unmittelbar betroffen war. Gabis Stimme klang zwar traurig und erschöpft. Doch sie war auch gefasst, und alles, was sie berichtete, spiegelte ihren enormen bewundernswerten Tatendrang wider. Den Drang, sich nicht unterkriegen zu lassen, wieder aufzubauen, nach vorne zu sehen, nicht aufzugeben. Ihr gilt mein ganzer Respekt. Sie vermittelte mir den Kontakt zu Daniel Röber, Obermeister der Friseurinnung Ahrweiler.

Ich überwand mich also und rief den Friseurmeister an. Er war unglaublich freundlich und berichtete mit ruhiger Stimme und dennoch sehr eindringlich über die entsetzliche Situation im Ahrtal. Durch das Gespräch mit ihm war ich in der Lage, die eigentlich unfassbare Dimension dieser Katastrophe aus der Ferne besser einzuordnen – und auch für die Leser zu Papier zu bringen. Ich bemühte mich sehr, ihn nicht zu unterbrechen und hatte mir meine Fragen vorab genau überlegt, um keine Gefühle zu verletzen oder aufdringlich zu erscheinen. Und dann passierte der Fauxpas: Wie das im Home Office so ist, stürzte meine kleine Tochter mitten im Gespräch neben mir vom Stuhl und brach in lautes Geschrei aus. Ich musste Daniel Röber unterbrechen und bitten, ihn später nochmal anrufen zu dürfen. Ich fühlte mich nicht nur unprofessionell, sondern auch unsensibel. Zu meinem großen Glück schien er es mir nicht persönlich genommen zu haben. Als ich ihn um Fotos von der Flutkatastrophe bitten musste, kam ich mir wie ein rücksichtsloser Sensationsreporter vor. Doch mein Gesprächspartner kam meiner Bitte ganz unkompliziert und selbstverständlich nach.

Ich hoffe, dass mir diese für mich so schwierige Gratwanderung geglückt ist: dass ich neugierig genug war, um detailliert berichten und das Interesse der Leser wecken zu können. Und trotzdem sensibel genug, um nicht sensationsgierig zu wirken. Wenn Ihr Euch selbst ein Bild machen wollt, lest gerne meinen Artikel unter https://www.hamburger-textwerk.de/?p=276

Mein Dank gilt meinen Gesprächspartnern in den Flutgebieten. Ich wünsche Euch/Ihnen von Herzen viel Kraft in dieser schweren Situation.